Berlin: 16 textile Forschungsinstitute und zahlreiche mittelständische Textilunternehmen in Deutschland arbeiten an der Entwicklung neuer antibakterieller und antiviraler Textilien.
Für Johannes Diebel, Leiter des Forschungskuratoriums Textil, FKT, zeigt die Corona-Pandemie exemplarisch, wie sich Krankheitserreger trotz aller Hygienevorschriften auch heute noch in Windeseile verbreiten können. „Dafür bietet unsere Textilforschung zahlreiche neue technische Ansätze, mit denen man die Verbreitung von Keimen und Viren wirksamer bekämpfen kann. Unsere gerade erschienene Zukunftsstudie Perspektiven 2035 nimmt diesen Gesundheits- und Medizinmarkt bereits in den Blick. Experten und Forscher sind sich einig, dass hier ganz neue globale Märkte entstehen werden. Die deutsche Textilforschung hat hier mit erfolgreichen Forschungsprojekten vorgearbeitet, die im Kampf gegen Corona jetzt schnell von der Entwicklung in die Anwendung kommen müssen. Einmal mehr zeigt sich: Aus dem Werkstoff Textil wird die Zukunft gebaut.“
Krebsschalen als Waffe gegen Bakterien
Für die erfolgreiche Bekämpfung von Krankheitserregern sind textile Materialien von Interesse, die per se eine antibiotische Wirkung haben. Zu diesen Stoffen gehört das Chitosan. Es ist Bestandteil von Krabbenpanzern, die jedes Jahr im Tausende-Tonnen-Maßstab in der Fischerei anfallen. Chitosan ist blutstillend, hat antibakterielle Eigenschaften und bakterizide sowie fungizide Wirkung. Damit eignet es sich ausgezeichnet für medizinische Anwendungen. Garnmaterialien aus reinem Chitosan sind bisher nicht verfügbar. Am Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik, ITM, wurde daher eine umweltverträgliche Spinntechnologie zur Herstellung von Garnen aus Chitosan entwickelt, mit der sich bioaktive und noch dazu allergenfreie Textilprodukte herstellen lassen. Im Detail kommen hier ionische Flüssigkeiten zur Produktion von Chitosan-Spinnlösungen zum Einsatz. Garnherstellern und -verarbeitern sowie Produzenten von Bio-Bekleidungstextilien und Textilien für die Medizin steht damit ein neuer Markt offen.
Künstliche Haut zum Testen
Im Kampf gegen Corona werden wir alle immer wieder darauf hingewiesen, die Hände zu waschen und auf einen Händedruck zu verzichten. Alternativ kann man Hände regelmäßig desinfizieren. Dafür stehen heute am Markt verschiedene Händedesinfektionsmittel zur Verfügung, die sowohl gegen Viren als auch Bakterien wirken. Die Herstellung neuer hochwirksamer Desinfektionsmittel (Viruzide) wird bis jetzt aber durch die aufwändigen Testverfahren erschwert. Für die Tests werden nämlich Probanden benötigt. Die müssen zunächst einmal gefunden werden, was Zeit und Geld kostet. Auch müssen die Testpersonen die Testzentren extra aufsuchen, was mit einem zusätzlichen Aufwand verbunden ist.
Am Hohenstein Institut für Textilinnovation wurde deshalb eine neue Testmethode entwickelt, die ohne Probanden auskommt. Dabei handelt es sich um standardisiertes technisches Hautmodell, das der Haut des Menschen in ihrer Funktionalität vergleichbar ist. Entwickelt wurde auch eine standardisierte Mechanik, die das Einreiben des Desinfektionsmittels auf die Haut simuliert. Tests haben inzwischen gezeigt, dass die neue Methode vergleichbare Ergebnisse erzielt. Mit dem Hautmodell lässt sich darüber hinaus sehr gut untersuchen, wie Viren von verschiedenen Oberflächen an die Haut abgegeben werden. Das hilft dabei, Desinfektions-Prozesse zu verbessern, um künftig Infektionsketten wie bei Corona besser durchbrechen zu können.
Keime zuverlässiger nachweisen
Um Bakterien und Viren wirkungsvoll bekämpfen zu können, ist es auch wichtig, diese auf verschiedenen Oberflächen nachzuweisen. Patienten, die bestimmte Keime auf ihrer Haut tragen, können dann mit speziellen Medikamenten gezielt bekämpft werden. Gegenstände wiederum lassen sich schnell reinigen, ehe sich die Krankheitserreger verbreiten. Zu diesem Zweck werden heute mit Tupfern Wischproben genommen, um die Krankheitserreger anschließend im Labor zu bestimmen. Dabei ist es wichtig, dass die Keime in der Wischprobe lebensfähig bleiben – nur dann kann man sie später im Labor nachweisen. Ob eine Probennahme gelingt, hängt bislang von mehreren Faktoren ab: dem Tupfermaterial, der Bakterienart und der Handhabung. Um künftig noch zuverlässiger Wischproben nehmen zu können, haben das DWI - Leibniz-Institut für Interaktive Materialien und die Hochschule Niederrhein jetzt eine neue Generation von Tupfern entwickelt, die von den Einflussgrößen Tupfermaterial, Bakterienart und Handhabung unabhängig sind. Diese bestehen aus Super-Mikrofasern, die die Keime über Kapillarkräfte schonend aufnehmen. Die Aufnahme und Abgabe der Bakterien sind so effizient, dass die oben genannten Faktoren keine Relevanz mehr haben. Die Tupfer können künftig für die Beurteilung von Wunden, die Vorsorge oder auch Hygieneabstriche von Oberflächen eingesetzt werden.
„Saure“ Metalloxide senken den pH-Wert
Nicht immer müssen ganz neue Garntypen entwickelt werden. Häufig reicht es auch, Garne mit neuen keimhemmenden Substanzen zu beschichten. So wurden am Hohenstein Institut Textilen mit sogenannten Lewis-sauren Metalloxiden beschichtet, die eine antimikrobielle Aktivität zeigen. Dazu gehören die Verbindungen Molybdän-, Wolfram-, Tantal- und Nioboxid. Diese eignen sich insbesondere für den Einsatz als technische Textilien – beispielsweise für Filter oder auch Heimtextilien. Diese funktionalisierten Textilien können dazu beitragen, die Grundbelastung der Umgebung durch Keime zu verringern. Im Projekt konnte gezeigt werden, dass die Metalloxide den pH-Wert im Bereich zwischen 3,5 und 5,5 absenken können. Die Versauerung hemmt das Wachstum verschiedener Bakterientypen. Versuche mit einer Modelloberfläche zeigten, dass bei Raumtemperatur in 18 Stunden 99,9 Prozent der Bakterien abgetötet werden.
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